Werkverzeichnis Nr.

Grammar of Ornament

In einer Werkgruppe, an der Silke Radenhausen seit 1996 arbeitet, setzt sich die bei Kiel lebende Künstlerin mit Owen Jones Buch »Grammar of Ornament« auseinander, das Musterbuch versammelt und stellt diese – ganz im Sinne des Historismus und des liberalen Konkurrenzkapitalismus – der abendländischen Kulturaneignung zur Verfügung.
Warum Silke Radenhausen sich durch dieses Buch fesseln lässt, begründet sie so: »Mich interessiert die Art und Weise der Klassifizierung. Alle Ornamente, gleich welcher Herkunft, werden durch Farb- und Formbehandlung eingeebnet, gleich behandelt. (…) Mir scheint sich hier ein europäisches Adaptions- und Affirmationsmuster zu spiegeln … Ich benutze ›Grammar of Ornament‹, um es erneut ›auszubeuten‹, allerdings in der von mir entwickelten Grammatik der  geometrisch-topologischen Operation. Meine Leinwandobjekte imitieren die Mustertafeln, verkörpern und fetischisieren sie, eine Art verdoppelter Kunstraub.« Was Silke Radenhausen als ihre geometrisch-topologische Operation bezeichnet, könnte man auch als eine kritische Reaktualisierung des Verhältnisses von ästhetischer Form und gesellschaftlicher Norm charakterisieren. In Jones imaginärem Museum des Weltornaments ist dieser Zusammenhang zwar unkritisch, jedoch in warenästhetischer Pracht entfaltet.
Dieser sinnliche Zauber der Verfügbarkeit basiert jedoch auf der Verdrängung des historischen Kontextes. Owen Jones transportiert die anarchische Ordnung des Ornaments in eine Ordnung des Anarchischen, d.h. in eine Ghettoisierung und Isolierung, also Neutralisierung. Im Gegensatz zu der notorisch-modernen
Parole vom »Tod des Ornaments« arbeitet Silke Radenhausens Grammar- Projekt daran, die Regelhaftigkeit des Ornaments erneut mit seiner ursprünglichen Anarchie anzufeuern. (...)

Knut Nievers
Ausschnitt aus Visus, Heft 1/97, S.35.